von Jan Fischbach

Im Moment scheinen sich die Dinge zu überschlagen. Es gibt viel tun und man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Wenn Sie auch dieses Gefühl haben, lesen Sie weiter. Lesen Sie bitte nicht weiter, wenn Sie kein Interesse daran haben, Ihre Prozesse zu verbessern. In diesem Beitrag geht es um Lean, Scrum und Agilität.

Was hält Sie davon ab, Ihre Kunden glücklich zu machen?

Lean, Scrum und Agilität gehören zusammen. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen, wie der industriellen Produktion oder der professionellen Softwareentwicklung. Es gibt auch unterschiedliche Techniken (z. B. 5S oder User Storys). Aber alle verfolgen das gleiche Ziel: Kunden glücklich machen und unnötige Arbeit vermeiden.
Was hält Sie heute davon ab, Ihre Kunden glücklich zu machen? Vielleicht sind Ihre Produkte veraltet? Vielleicht fehlen Ihnen die Fachkräfte oder ganz einfach die Zeit? Das ist kein neues Problem. Blicken wir zurück.

Die USA und Japan müssen ihre Wirtschaftskraft erhöhen

Im Zweiten Weltkrieg fehlten in den USA Fachkräfte. Zum einen waren viele Männer im Kriegsdienst und fehlten in den Fabriken zum anderen mussten die Firmen in den USA ihre Produktion deutlich steigern, um den Alliierten kriegswichtige Güter zu liefern. Neben Munition vor allem Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe.

Um diese Herausforderung zu lösen, hat sich ein kleines Team aus der Industrie im Auftrag der Regierung die größten Schwierigkeiten der Unternehmen genauer angesehen. Es hat dafür Trainingskonzepte entwickelt und diese immer wieder angepasst. Die Regierungsberater bestanden darauf, dass sich die Industrie selbst um die Ausbildung ihrer Leute kümmert. So entstand das Programm „Training Within Industry“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Training_Within_Industry), das später die Grundlagen für Lean in Japan legte. Es gab vor allem drei Schwierigkeiten:

  • Schwierigkeit 1: Wie lernen wir neue Fachkräfte an? Die meisten neuen Mitarbeiter:innen verließen ein Unternehmen wieder in den ersten Wochen, weil sie nicht eingearbeitet wurden. Das erste TWI-Training half den Vorarbeitern dabei, die Ausbildung zu organisieren. Dieses und auch die anderen beiden dauerten jeweils 2 Stunden an nur 5 Tagen.
  • Schwierigkeit 2: Wie vermeiden wir unnötige Konflikte und wie schaffen wir ein vernünftiges Arbeitsklima? Das zweite TWI-Training gab den Vorarbeitern Hinweise, wie sie Konflikte proaktiv erkennen, dazu Daten sammeln und die unterschiedlichen Sichtweisen zusammenbringen.
  • Schwierigkeit 3: Wie produzieren wir mehr Güter, ohne mehr Material zu bekommen? Das dritte TWI-Training zeigt den Vorarbeitern, wie man Arbeitsgänge systematisch hinterfragt und immer wieder verbessert. Dieses Training betonte, dass Verbesserungen keine einmalige Aktion seien. Stattdessen müsse jeden Tag, jede Woche ständig nach noch so kleinen Verbesserungen gesucht werden, damit die USA ihre Produktionsziele für den Krieg erreichte.

Diese kurzen Trainings waren sehr praxisorientiert. Die Teilnehmer:innen mussten die neuen Techniken immer wieder üben. Für die Trainer galt: Wenn der Lerner nicht lernt, hat der Trainer seine Arbeit nicht gemacht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Ausbildungsprogramm erfolgreich in Japan übernommen, um dort die Wirtschaft wieder aufzubauen.

Die Software-Industrie entdeckt Lean für sich

Als die Anzahl der elektronischen Computer ab den 1980er-Jahren auch in der Industrie steigt, stehen die Praktiker bald vor ähnlichen Problemen wie die Auto- und Flugzeugbauer am Anfang des Jahrhunderts. Wie betreiben wir IT-Systeme und wie entwickeln wir neue, sodass die Kunden damit zufrieden sind und die Kosten im Rahmen bleiben?

Jeff Sutherland, damals Mitarbeiter in der IT bei einer großen Bank, nutzt seine Kenntnisse aus seiner Doktorarbeit über komplex-adaptive Systeme und wendet Techniken aus Lean Thinking an. So verbesserte er nach wenigen Monaten die Leistung seiner IT-Teams. Andere Praktiker entwickeln ähnliche Ideen. Zusammen mit Ken Schwaber stellt er im Jahr 1995 Scrum als Arbeitsrahmen für Produktentwicklung und das Lösen von komplexen Problemen vor.

Im Jahr 2001 tun sich mehrere Leute zusammen, um ihre Erkenntnisse zur Softwareentwicklung zusammenzufassen. Das Agile Manifest wird veröffentlicht. Firmen wie Microsoft, Amazon, Facebook, Apple, Google oder SAP haben Scrum und Agilität für sich genutzt, um ihren Vorsprung vor der Konkurrenz auszubauen. Sie haben die Marktbedingungen für alle anderen und auch die neuen Player geändert.

Scrum hilft Ihnen, komplexe Probleme zu lösen

So wie das TWI-Programm und statistische Prozesskontrolle den japanischen Unternehmen half, an die Weltspitze zu gelangen, konnten IT-Unternehmen aus den USA mit Scrum und Agilität enorme Erfolge erzielen.

Jeder kann Scrum lernen und anwenden. Dabei ist Scrum keine Methode, sondern ein übergeordneter Prozess, um die eigentlichen Arbeitsprozesse zu entwickeln. Scrum beginnt damit, dass eine Person Verantwortung für ein Problem oder ein neues Produkt übernimmt. Diese Person muss sich am Ende daran messen lassen, ob die neue Lösung wirklich die Investition wert war.
Dann gibt es ein interdisziplinäres Team, das in kleinen Schritten an der Lösung arbeitet. Es gibt sich einen Rhythmus, z. B. zwei Wochen. So stellt es sicher, dass es immer wieder prüft, ob es noch auf dem richtigen Weg ist. Dazu planen alle Beteiligten am Anfang, welche Ziele sie in dieser Zeit anstreben und entwickeln einen konkreten Plan. Am Ende kommen wieder alle zusammen, vielleicht sogar mit echten, künftigen Anwender:innen der Lösung, um das Ergebnis zu begutachten.

Das Verbessern von Prozessen ist in Scrum integriert. Zu Beginn funktioniert nämlich vieles nicht so gut: es gibt noch kein Team, dass ungestört und Vollzeit an etwas arbeiten kann. Es fehlt die Expertise, Leute muss ausgebildet werden. Es gibt Hindernisse in der Umsetzung. Es gibt Probleme mit Tools und in der Kommunikation.

Das Scrum Team nimmt sich ein Hindernis nach dem anderen vor. Dazu trifft es sich einmal täglich, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Aber auch am Ende eines Rhythmus nimmt es sich Zeit für 1-2 große Verbesserungsideen.

Bei Scrum gibt es für das Verbessern ein eigene Rolle, den Scrum Master bzw. die Scrum Masterin. Diese Person muss sich daran messen lassen, dass sich die Prozesse auch wirklich verbessern. Dazu arbeitet sie eng mit der Unternehmensleitung zusammen und bekommt das entsprechende Mandat.

Scrum Teams liefern gute Ergebnisse ab. Nicht, weil sie der „Methode Scrum“ folgen, sondern weil sie diesen Rahmen benutzen, um an Hindernissen zu arbeiten.

Wer mehr über die Hintergründe von Scrum erfahren will, kann einen Blick in des Buch „Die Scrum-Revolution“ von einem der Scrum Erfinder, Jeff Sutherland, werfen. X4B bietet seinen Mitgliedern öffentliche Scrum-Trainings an.

Autor:

Jan Fischbach, Professional Scrum Master, Organisationsberater und Trainer. Sein Lieblingsthema ist das Ausrichten von Organisationen auf gute Produkte und gute Zusammenarbeit (vor allem mit Scrum und Lean Thinking). Um den Effekt von Organisationsveränderungen erfahrbar zu machen, hat er das Ubongo Flow Game entwickelt. Jan Fischbach ist Ingenieur der Elektrotechnik und schreibt regelmäßig im Teamworkblog.de. https://www.veraenderungskraft.de/author/janfischbach/

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